AUTOREN

Matthias Hoppe
SVP/Head of EMEA Portfolio Management
Franklin Templeton Investment Solutions
Die Lage ist zugegeben kompliziert. Krieg in der Ukraine, ein sich abschwächendes Wachstum, Inflation und Notenbanken, die ihre großzügige Geldpolitik der vergangenen Jahre zurücknehmen. In dieser Gemengelage ist die Unsicherheit groß. Und so gibt es kaum eine Anlageklasse, die seit Jahresanfang eine positive Performance aufweisen kann. Die Ausnahme sind Rohstoffe. Wobei auch hier differenziert werden muss: Während die Preise für Rohöl und Weizen stark gestiegen sind, hat sich der Goldpreis in US-Dollar kaum bewegt.
Die Wachstumserwartungen sinken
Wie geht es also weiter mit den Preisen, der Konjunktur und den Kapitalmärkten? Das globale Wachstum wird sich sehr wahrscheinlich verlangsamen. Die Prognosen der Volkswirte für das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) deuten zwar auf positives Wachstum für dieses und kommendes Jahr, wenn auch deutlich niedriger als in 2021. Die Prognosen wurden aber seit Jahresanfang sukzessive nach unten korrigiert.
Wachstum 2021 und Konsensprognosen zum realen Bruttoinlandsprodukt für 2022 und 2023
Die Wachstumsprognosen wurden nach den russischen Angriffen auf die Ukraine nach unten korrigiert.

Quelle: Bloomberg. Stand 06.07.2022
Es gibt keine Garantie dafür, dass sich eine Projektion, Schätzung oder Prognose bewahrheitet.
In den Jahren 2020 und 2021 ist das reale BIP trotz CoronaPandemie sehr stark gestiegen und lag in vielen Ländern deutlich über dem Trendwachstum – dank einer lockeren Geldpolitik und hoher Staatsausgaben, die die negativen Effekte der Pandemie abfedern sollten. Die jetzt abnehmende Dynamik im Wachstum wäre daher normal, wäre da nicht die hohe Inflation. Aber dazu gleich.
Die Frage, die sich viele Investoren stellen, ist, ob wir aufgrund der oben genannten Gemengelage in eine Rezession oder in eine Stagflation (Null-Wachstum bei gleichzeitiger Inflation) geraten. Die Wahrscheinlichkeit einer unmittelbaren Rezession schätzen wir im Moment zwar noch als gering ein. Das Risiko, dass eines der beiden Szenarien eintritt, ist aber deutlich gestiegen.
Die Ungleichgewichte, die Rezessionen in der Regel vorausgehen, sind im Moment nicht zu beobachten. Auf der einen Seite stehen die Unternehmen im Großen und Ganzen sehr gut da: Die Margen sind hoch, die Bilanzen sind solide, die Investitionsausgaben halten sich im Rahmen. Bei den privaten Haushalten ist das Kreditwachstum in den vergangenen Jahren moderat gewesen. Viele Haushalte sind finanziell gut aufgestellt, haben hohe Ersparnisse angehäuft, unter anderem weil während der vergangenen zwei Jahre weniger ausgegeben wurde – auch beim Urlaub. Hinzu kommt ein robuster Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosenquote liegt in der Eurozone mit 6,8 % sogar unter dem Niveau von 2019. In den USA liegt sie mit 3,8 % auf dem Stand vor der CoronaPandemie.
Die Stimmung trübt sich allmählich ein
Aber jetzt kommt die Inflation ins Spiel: In den Unternehmensberichten lesen wir immer mehr über Lohndruck (insbesondere in den USA) und Probleme bei den Lieferketten. Einige Firmen haben bereits die Gewinnerwartungen nach unten berichtigt – entsprechend sind auch die Gewinnrevisionen der Analysten nach unten korrigiert worden. Trotz Lohndruck steigen die Gehälter in vielen Volkswirtschaften nicht so schnell wie die Preise, wodurch die Realeinkommen sinken. Die ersten negativen Effekte sind bereits zu sehen. Zum einen sinken die Sparquoten, zum anderen fällt das Konsumentenvertrauen. In der Eurozone ist das Verbrauchervertrauen bereits stark gefallen. Immer mehr Haushalte schätzen ihre wirtschaftliche Lage schlechter ein als noch am Jahresanfang. In den Vereinigten Staaten liegen die Erwartungen der Verbraucher nahe an den Tiefstständen, die in den Rezessionen der frühen 1990er Jahre und während der globalen Finanzkrise zu verzeichnen waren.
Eurozone: Löhne, Inflation und Konsumentenvertrauen
In der Eurozone sind die Gehälter trotz hoher Inflation noch nicht nennenswert gestiegen. Gleichzeitig verschlechterte sich das Konsumentenvertrauen rapide.

Quelle: Europäische Zentralbank, Eurostat, DG ECFIN, Refinitiv Datastream. *Harmonisierte Umfrage: Saldo (%) zwischen den positiven und negativen Antworten.
Stand: 31.05.2022
Niedriges Verbrauchervertrauen belastet die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen. Hohe Preise ebenfalls, insbesondere wenn die Einkommen nicht mithalten. Die Zentralbanken stehen dabei vor einem großen Dilemma: Wie weit können sie an der Zinsschraube drehen, ohne die Konjunktur abzuwürgen? Dabei sind Zinserhöhungen ein stumpfes Instrument, um die hauptsächliche Ursache der aktuellen Inflation in der Eurozone– steigende Energie- und Lebensmittelpreise – zu lindern. Höhere Zinssätze werden weder mehr Erdöl noch mehr Erdgas auf den Markt bringen, noch werden sie Versorgungsengpässe lindern.
Energiekosten sind wichtigster Treiber der Inflation in der Eurozone
In den letzten Monaten haben die steigenden Öl und Gaspreise die Inflation massiv befeuert.

Quelle: Eurostat, Refinitiv Datastream. Stand: 30.06.2022
Während die Preise für Rohöl und auch Agrarrohstoffe in den vergangenen Wochen korrigiert haben, bleiben die Gaspreise und die Gasversorgung in Europa brisant. Das russische Pipelinevolumen liegt um 75 % unter dem Vorjahreswert – ein Grund, warum die BIP Prognosen für 2022 und 2023 gesenkt wurden. Eine Unterbrechung der Gasversorgung hat das Potenzial, die europäische Wirtschaft, insbesondere die deutsche, in eine Rezession zu reißen.
Geld- und Fiskalpolitik in Zugzwang
Die Inflationsaussichten sind also nicht unbedingt besser geworden. Was den Inflationsdruck mindern würde, wäre eine konjunkturelle Abkühlung. In den frühen 1980er Jahren hat die Federal Reserve (Fed) unter dem Vorsitz von Paul Volcker absichtlich die Konjunktur ausgebremst, als es klar war, dass die Geldpolitik nur so die Inflation stoppen konnte. Weder die Fed noch die Europäische Zentralbank (EZB) dürften dieses Mal dieses Ziel haben – aber die Angst, dass ihnen die Inflation außer Kontrolle gerät, ist da. Das setzt die EZB stark unter Druck, die Zinsen zu erhöhen. Sollte sich das Wachstum im nächsten Jahr stärker als erwartet verlangsamen, könnte die EZB auf die Bremse drücken und mit den Zinserhöhungen aufhören. Aber die Risiken, dass es eben nicht zu einer sanften, sondern einer harten Landung der Konjunktur kommt, sind eindeutig gestiegen.
Zinserhöhungen sind ein wenig geeignetes Mittel, um die hauptsächliche Ursache der Inflation zu bekämpfen.
Die Notenbanker bewegen sich also auf einem schmalen Grat. Wie sieht es mit der Fiskalpolitik aus? Angesichts der hohen Inflation muss die Fiskalpolitik vermeiden, die Nachfrage weiter anzukurbeln. Unserer Einschätzung nach dürften die Regierungen in Europa bei den öffentlichen Ausgaben aber weiter pragmatisch vorgehen. So können wir hier bereits eine deutliche Erhöhung der Ausgaben für Verteidigung beobachten, zudem Ausgaben für ukrainische Flüchtlinge, die Energiesicherheit und Energiesubventionen und für Haushalte. Diese Ausgaben dürften in diesem Jahr sogar steigen. Der geldpolitischen Verknappung steht also eine leichte fiskalische Lockerung gegenüber, zumindest in diesem Jahr.
China: Erste Anzeichen einer Erholung?
Eine besondere Rolle kommt in dieser Gemengelage China zu. Infolge der Null-Covid-Politik und der damit anhaltenden Abriegelungen in Großstädten wie Schanghai, die die globalen Lieferketten beachtlich stören sowie die heimische Wirtschaft schwächen, hat die Regierung bereits die geld- und fiskalpolitischen Zügel gelockert. Doch reicht das, um wieder der Motor für die Weltwirtschaft zu sein? Daran darf gezweifelt werden, zumal die Unsicherheit bezüglich Chinas Umgang mit weiteren Lockdowns bleibt. Aber Chinas zaghafte Erholung bedeutet, dass das Land für die globale Wirtschaft zumindest nicht mehr ein belastender Faktor ist.
Die Lage an den Finanzmärkten ist somit so unübersichtlich wie lange nicht mehr. Wie die globale Umfrage der Bank of America unter Fondsmanagern zeigt, liegen die größten Sorgen der Investoren bei der Geldpolitik, der Inflation und dem Rezessionsrisiko. Entsprechend haben viele auf Vorsicht umgeschaltet – wie wir bei Franklin Templeton Investment Solutions auch. Die Kursverluste der vergangenen Wochen haben auch die Bewertungen von Aktien korrigiert. Allerdings können Enttäuschungen auf Seiten der Unternehmensgewinne nicht ausgeschlossen werden, was die Bewertungen noch günstiger werden ließe.
Aktuell haben wir eine leichte Präferenz für Aktien gegenüber Anleihen. Allerdings bei einer vorsichtigen Positionierung.
Unsicherheit bedeutet auch immer, dass Märkte in ihrem Preisfindungsprozess übertreiben – zumindest kurzfristig –, und das eröffnet einem aktiven Investor Opportunitäten. Auch wenn es diesen Sommer heiss hergehen dürfte – wichtig ist, sich nicht von den täglichen Meldungen verunsichern zu lassen, sondern eine längerfristige Perspektive einzunehmen. Und hier sehen wir ab dem kommendem Jahr eine generelle Normalisierung der Inflation (nicht aber beim Preisniveau!) bei moderatem Wachstum. Der Vorteil: attraktivere Zinsen und Aktienbewertungen, die wieder höhere Renditen in Aussicht stellen.
