AUTOREN

David Zahn, CFA, FRM
Head of European Fixed Income,
Franklin Templeton Fixed Income
Die Europäische Zentralbank (EZB) beschloss auf ihrer Junisitzung, den Leitzins von 4 % auf 3,75 % herabzusetzen. Dies ist die erste Zinssenkung, seit Beginn des Zinsanhebungszyklus im Jahr 2022, mit dem der mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine einsetzende Inflationsdruck bekämpft werden sollte. Der Rat der Europäischen Zentralbank führte an, dass die Inflation seit dem Höhepunkt des Zinsanhebungszyklus im September 2023 um 2,5 Prozentpunkte zurückgegangen sei. Allerdings erwartet die Bank in ihren Projektionen für die Jahre 2024 und 2025 weiterhin eine Inflation knapp über dem Zielwert von 2 %.
Meines Erachtens ist die Entscheidung der EZB insofern stimmig, als die Geldpolitik mit einer erheblichen Verzögerung von 12-18 Monaten wirkt. Eine Zinssenkung im Juni 2024 dürfte sich Ende 2025 oder Anfang 2026 bemerkbar machen. In ihrem Ausblick geht die Zentralbank davon aus, dass die Inflation in Europa zu etwa diesem Zeitpunkt auf 1,9 % sinkt. Die Inflation hält sich zwar hartnäckig, dürfte langfristig aber abwärts tendieren.
Die Entscheidung war deutlich signalisiert und von den Märkten erwartet worden. Die Wirtschaft in Europa ist robust genug, sodass die Zentralbank nicht abrupt auf einen lockeren Kurs umschwenken muss. Die Wirtschaft der größten Volkswirtschaft der Region – Deutschland – hat sich zwar erheblich abgekühlt, doch im restlichen Euroraum herrscht Wirtschaftswachstum.
Zwar hat die EZB keine weiteren Zinssenkungen zugesichert, doch meiner Meinung nach setzt sie zu einem Zinssenkungszyklus an, der die Leitzinsen letztlich wieder auf das neutrale Niveau von 2 % bringen wird – allerdings Schritt für Schritt und wohlüberlegt. Wahrscheinlich wird sie im September und Dezember dieses Jahres ähnliche Zinssenkungen um 25 Basispunkte vornehmen. Wenn sich die Wirtschaft und die Inflation wie erwartet entwickeln, dann dürften in jedem Quartal des Jahres 2025 ähnliche Zinsschritte folgen – aber dies ist natürlich keineswegs sicher. Man darf nicht vergessen, dass wir in einer Welt leben, in der in den vergangenen Jahren viele unerwartete Ereignisse eingetreten sind. Ereignisse, die die politischen Erwartungen über den Haufen geworfen haben.
Renditen könnten dank allmählicher Zinssenkungen attraktiv bleiben
Anleger sollten immer daran denken, dass die EZB betont hat, sich bei zukünftigen Zinsentscheidungen immer an der Datenlage orientieren zu wollen. Aufgrund dieser Haltung dürften die Anleihenmärkte auf neue Daten reagieren, sobald diese veröffentlicht werden. Daher gehen wir davon aus, dass sich die europäischen Anleihenmärkte kurzfristig weiterhin innerhalb einer gewissen Bandbreite bewegen, je nachdem, ob die veröffentlichten Daten auf eine höhere oder eine geringere Inflation hindeuten. Aktuell liegen die Renditen in der Mitte der jüngsten Spanne. Da sich die Zinsen innerhalb einer gewissen Bandbreite bewegen, werden wir auf taktische Möglichkeiten achten. Längerfristig, wenn die Zinssenkungen der EZB ihre Wirkung entfalten, wird sich dies als sehr vorteilhaft für europäische Anleihen erweisen. Die Renditen der Anleihen dürften sinken.
Die Zinssenkung wird sich am Geldmarkt bemerkbar machen, der allmähliche Rückgang dürfte sich fortsetzen. Wenn die kurzfristigen Zinsen, wie von uns erwartet, im Laufe der Zeit sinken, dann könnten Anleger eine Umschichtung von Geldmarktfonds in Anleihen mit kurzer Duration ins Auge fassen, um weiterhin attraktive Erträge zu erzielen. Dadurch könnte eine neue Käuferbasis entstehen, die zukünftig die Rentenmärkte unterstützen wird.
Die Geldpolitik in den USA folgt weiterhin einem anderen Zeitplan
Wir gehen nicht davon aus, dass der Zinsschritt der EZB die US-Notenbank (Federal Reserve) beeinflussen wird. Der Offenmarktausschuss der Fed tagt am 11. und 12. Juni, wir halten US-Zinssenkungen in diesem Monat jedoch für sehr unwahrscheinlich. Die US-Wirtschaft wächst nach wie vor schneller und steht auch unter geringerem fiskalpolitischem Druck als die Wirtschaft im Euroraum. Die jüngsten Wirtschafts- und Inflationsdaten deuten darauf hin, dass die Fed die Zinsen 2024 ein- oder zweimal senken könnte. Die Entscheidungen werden jedoch eher auf binnenwirtschaftlichen Überlegungen beruhen und nicht auf dem Wunsch, mit der Zinssenkung der EZB gleichzuziehen.
WO LIEGEN DIE RISIKEN?
Alle Anlagen sind mit Risiken verbunden, ein Verlust des Anlagekapitals ist möglich.
Festverzinsliche Wertpapiere bergen Zins-, Kredit-, Inflations- und Wiederanlagerisiken sowie das Risiko eines möglichen Verlusts des eingesetzten Kapitals. Wenn die Zinssätze steigen, fällt der Wert von festverzinslichen Wertpapieren. Niedrig bewertete, hochverzinsliche Anleihen sind höheren Preisschwankungen, Illiquiditätsrisiken und der Möglichkeit eines Ausfalls ausgesetzt.
Internationale Anlagen sind mit besonderen Risiken verbunden. Hierzu gehören Währungsschwankungen sowie gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Unsicherheiten, die zu erhöhter Volatilität führen können. Diese Risiken sind in Schwellenländern noch größer.
