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Der US-Kongress hat buchstäblich in letzter Minute einen Übergangshaushalt für 45 Tage verabschiedet. Kurz danach unterzeichnete Joe Biden das Gesetz, das die US-Bundesregierung bis Mitte November am Laufen hält. So wurde der drohende Shutdown der Regierung verhindert.

Die Märkte dürfen erleichtert aufatmen. Denn ein längerer Stillstand der Regierung hätte zu einem Rückgang der Investitionen führen, und schlimmer noch, am Ende wichtige staatliche Dienstleistungen im Finanzsektor, Verkehr und zahlreiche andere Dienstleistungen zum Erliegen bringen können.

Die Erleichterung wird allerdings wahrscheinlich nur von kurzer Dauer sein. Der Kompromiss von Samstag ist nur eine kurzfristige Übergangslösung und ein erneutes politisches Ringen in sechs Wochen scheint ausgemacht.

Nachfolgend haben wir für Anleger einige Beobachtungen zusammengestellt, damit sie die Auswirkungen der nächtlichen politischen Ereignisse auf ihre Portfolios bedenken können, ohne sie überzubewerten.

Warum ein Kompromiss schwierig ist

Zunächst sollten sich Anleger bewusst darüber sein, dass trotzt des jüngsten Kompromisses zur Abwendung eines Shutdown in Washington generell ein Klima der Unversöhnlichkeit herrscht. Und das wird sich mindestens bis zu den Wahlen 2024 nicht ändern.

Gemäß der US-Verfassung ist der US-Kongress befugt, Steuern zu erheben und Geld auszugeben. Die Exekutive darf dagegen nur zustimmen, indem sie Gesetze unterzeichnet, oder über ihr Veto-Recht die Zustimmung verweigern. Gemäß dem Antideficiency Act von 1884 dürfen Bundesbehörden in den USA ohne eine entsprechende Bewilligung ihrer Vorlagen durch den Kongress kein Geld ausgeben. Zu einem Shutdown kommt es also, wenn der Kongress nicht in der Lage oder nicht bereit ist, Ausgaben zu genehmigen.1

Der Kongress ist bekanntlich in zwei Lager gespalten, jedes davon hat eine knappe Mehrheit in einer Kammer (die Republikaner im Repräsentantenhaus und die Demokraten im Senat). Aufgrund der Polarisierung in der heutigen Politik sind parteiübergreifende Ergebnisse eine Seltenheit und werden oft nur in letzter Minute erzielt, wie wir am Samstagabend gesehen haben.

Dabei ist zu beachten, dass parteiübergreifende Kompromisse Parteien intern destabilisieren können, obgleich Anleger sie vielleicht begrüßen. Der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, könnte diese Woche von Mitgliedern seiner eigenen Partei gestürzt werden, die der Ansicht sind, dass eine Chance vertan wurde, um mit einem erzwungenen Shutdown die Agenda der Partei voranzutreiben.

Die Quintessenz ist, dass Parteien angesichts knapper Mehrheiten leicht ins Schleudern kommen können. Das macht es noch unwahrscheinlicher, dass Gesetze auf den Weg gebracht werden.

Das Fazit ist: Anleger, die auf eine längere Phase politischer Stabilität, Berechenbarkeit und Führung in Washington hoffen, dürften wahrscheinlich enttäuscht werden. Die innerparteilichen und parteiübergreifenden Spaltungen, die einer wirksamen Regierungsführung im Wege stehen, sind durch das Ringen der letzten Wochen deutlicher sichtbar geworden denn je.

Früher waren Anleger in der Regel froh über eine gespaltene US-Regierung. Denn der Stillstand war eine Garantie dafür, dass sich wenig ändern würde. Ohne den bangen Blick nach Washington konnte sich die Wall Street voll und ganz auf die Fundamentaldaten - Wachstum, Inflation, Zinsen und Gewinne - konzentrieren, die für die Erträge von Vermögenswerten und die Wertentwicklung der Portfolios maßgeblich verantwortlich sind.

Der aktuelle Stillstand ist allerdings mindestens aus zwei Gründen nicht ganz so günstig.

Erstens müssen kurzfristige Übergangshaushalte („continuing resolutions“) regelmäßig erneuert (oder schließlich durch die Bewilligung eines Haushalts für ein volles Jahr ersetzt) werden. Der nächste Stillstand droht also schon am Horizont. Angesichts der Erfahrung der USA mit Shutdowns seit den 1990er Jahren (insgesamt acht an der Zahl), bietet der Kompromiss in letzter Minute von diesem Wochenende wenig Anlass zur Hoffnung, dass ein Stillstand Ende dieses Jahres oder 2024 vermieden werden kann.

Zweitens erfordern die hohen Haushaltsdefizite der US-Bundesregierung seit der globalen Finanzkrise, und vor allem seit der Pandemie, früher oder später dauerhafte Lösungen zur Verringerung der Defizite und zur Stabilisierung (ein Abbau liegt in weiter Ferne) der Staatsverschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt zu finden. Die Ereignisse der letzten Woche machen wenig Hoffnung darauf, dass eine Lösung für diese langfristigen Herausforderungen in Sicht ist.

Für Anleger war es daher vermutlich nur eine kurze Atempause von den Problemen in Washington. In den nächsten Wochen werden sie sich erneut Fragen über eine weiche Landung der Wirtschaft, die Aussichten für eine Verlangsamung der Inflation, die Auswirkungen auf die Politik der Federal Reserve und den Start der Bilanzsaison für das dritte Quartal widmen. Zur gleichen Zeit, wenn sich die Geister für Halloween bereit machen, werden auch die Geister in Washington in den letzten Wochen vor einem möglichen Regierungsstillstand Mitte November wieder auftauchen.

Mitternacht ist Geisterstunde. Ein Kompromiss wenige Minuten vor Mitternacht hat kurzfristige Erleichterung gebracht. Aber die Angst wurde nur kurzfristig gelindert und nicht bewältigt.

Genießen Sie einstweilen die Ruhe. Es könnte wieder gruselig werden.

Stephen Dover, CFA
Chief Market Strategist,
Franklin Templeton Institute



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